Sonntag, 24. Juli 2011

Das Phänomen des "volatility clustering"

Was ist das?

Es ist die empirisch nachzuweisende Eigenschaft in finanzwirtschaftlichen Zeitreihen, dass große Preisbewegungen wiederum eher große Preisbewegungen bewirken und vice versa. Steigt z.B. der Kurs einer Aktie heute überdurchschnittlich stark an, ist es sehr wahrscheinlich dass der Kurs morgen auch stark steigt ODER fällt. Das "ODER" ist deshalb von Bedeutung, da die Richtung der Preisbewegung als zufällig angenommen wird und nur das Ausmaß der periodischen Schwankung (beispielsweise absolute oder quadrierte Renditen) derartige Abhängigkeitsstrukturen aufweisen.

Wer hat erfunden?

Als Urheber gilt der "Rockstar der Mathematik" Benoît B. Mandelbrot. Er nutze in den Jahren 1961/62 seine Möglichkeiten als Mitglied der Benoit Mandelbrot mg 1804b Forschungsabteilung des Thomas J. Watson Research Center bei IBM, um seine Forschungsergebnisse zum Phänomen des unberechenbaren Verhaltens in der Natur (engl. erratic behavior, welche später zur Chaostheorie heranreifen sollte) auf andere Gebiete der Wissenschaft anzuwenden. In seinem 1963 erschienen Artikel "The Variation of Certain Speculative Prices" rechnete er mit einigen der hartnäckigsten Dogmen der Finanzwissenschaft ab. Darunter auch die gaußsche Mathematik für Wertpapierrenditen. Zwei Jahre vor Erscheinen seines Artikels beschäftigte Mandelbrot sich jedoch auf Anweisung von Albert L. Williams, Präsident von IBM in den Jahren 1961-66, mit einer kursierenden Tradingstrategie. Stanley S. Alexander, damals Professor am MIT, hatte 1961 ein Artikel herausgebracht, in dem er sein "Filterverfahren" beschrieb: steigt der Markt um 5% oder mehr, kauft und hält man; fällt er um 5% oder mehr, verkauft man und wartet ab. Als ich diese Zeilen in Mandelbrots Buch "Fraktale und Finanzen" las, fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Im Rahmen meiner Ausarbeitungen zu dem Thema Volatilitätscluster entwarf ich eine ähnliche Handelsstrategie, die auf Abhängigkeiten (und somit nicht eingepreiste Informationen) in Kapitalmarktzeitreihen aufbaut. Der umgekehrte gedankliche Sprung von einer derartigen Handelsstrategie zu den Abhängigkeiten ist nicht weit. Vielleicht war Stanley S. Alexander der praxisorientierte Ideengeber für Mandelbrots empirische Untersuchungen.

Die Ära des GARCH

Fast 20 Jahre hat es gedauert, bis die Erkenntnisse der bedingten Heteroskedastizität (ökonometrischer Fachterminus) mithilfe mathematischer Modelle erklärt werden konnten. Im Jahre 1982 brachte der Nobelpreisträger Robert F. Engle den Artikel "Autoregressive Conditional Heteroskedasticity with Estimates of the Variance of UK. Inflation" heraus, indem er die Idee einer zeitvariablen Varianz vorschlug. Die bis dahin gängigen Modelle (z.B. ARMA-Prozesse) sind allesamt von einer konstanten Varianz ausgegangen und versuchten lediglich den Mittelwertprozess einer Zeitreihe zu modellieren. Engle wendete hingegen einen Moving-Average-Prozess für die Varianz (zweite Moment alphastabiler Verteilungen) an, womit das volatility clustering erstmals mathematisch modelliert werden konnte. Vier Jahre später fügte der dänische Ökonom Tim Bollerslev konsequenterweise einen autoregressiven Term in Engles Gleichung ein und der berühmte und weit verbreitete GARCH war geboren. Bis heute wurden weit über 100 verschiedene ARCH- bzw. GARCH-Derivate entwickelt. Einen guten und relativ umfassenden Überblick lieferte Bollerslev in seinem Artikel "Glossary to ARCH (GARCH)". Diese statistischen Modelle werden oft als sehr kompliziert beschrieben (z.B. von Nassim Nicholas Taleb in seinem Bestseller "Der Schwarze Schwan"), können aber durchaus innerhalb weniger Wochen verstanden werden. Mein Hauptbuch zur Einarbeitung war Alois Geyers "Information, Erwartung und Risiko. Aspekte der Verteilung, Abhängigkeit und Varianz von finanzwirtschaftlichen Zeitreihen" sowie die Origanlartikel von Engle, Bollerslev, Cont, Mandelbrot. Viele Artikel und vor allem Promotionen zu dem Thema weisen die typisch akademische Verkomplizierung auf. Man sollte sich da nicht abschrecken lassen und bessere Quellen wählen!

Meine Abschlussarbeit mit dem Titel "Das Phänomen des 'volatility clustering' in finanzwirtschaftlichen Zeitreihen" kann hier heruntergeladen werden. Die Gliederung sieht wie folgt aus:

1. Einleitung
2. Volatilität auf Kapitalmärkten
2.1 Volatilität als Risikomaß
2.1.1 Historische Volatilität
2.1.2 Implizite Volatilität

2.2 Entstehung von Volatilitätsclustern
2.2.1 Time-Deformation Hypothese
2.2.2 Heterogeneous Agent Model

2.3 Auswirkungen von Volatilitätsclustern
2.3.1 Effekte auf die Finanztheorie
2.3.2 Effekte auf die Wohlfahrt

3. Empirische Untersuchung
3.1 Datensatz
3.2 Residuenanalyse
3.2.1 Einfache Renditen
3.2.2 Quadrierte Renditen

3.3 Teststatistiken
3.3.1 Ljung-Box Test
3.3.2 Modifizierter Wald–Wolfowitz Test

4. (G)ARCH-Modelle
4.1 Spezielle (G)ARCH-Modelle
4.1.1 ARCH
4.1.2 GARCH
4.1.3 IGARCH
4.1.4 GJR-GARCH

4.1.5 EGARCH
4.2 Parameterschätzung
4.2.1 Maximum-Likelihood-Methode
4.2.2 Ljung-Box Test integrierte Optimierung

4.3 Ergebnisse der Parameterschätzungen
5. Alternativmodelle
5.1 Multifractal Model of Asset Returns
5.2 Stochastic Volatility
6. Schlussbemerkungen

Weitergehende Fragestellungen:

  • Lässt sich Volatilität handelbar machen?
  • Lassen sich aus der Existenz von Volatilitätscluster Handelsstrategien ableiten?
  • Wie können GARCH-Modelle in VaR-Methoden eingebunden werden?
  • Gibt es ein ökonomisch optimales Ausmaß von Volatilität auf Kapitalmärkten?

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